Was ist eine postnatale Depression?
Ein Beitrag von Lidl Family
Ein Beispiel aus meinem Hebammen-Alltag:
Tag 5 im Wochenbett
Frau M. kam gestern mit einem gesunden Säugling vom Spital nach Hause. Eine Vakuum -Geburt. Die Heultage oder der sogenannte Babyblues in voller Blüte. So begrüsst sie mich bereits an der Tür. Tränen obwohl die Sonne scheint und das gesunde Baby zufrieden schläft. Ein paar Tränen gehören zum Mutterglück. Dann, wenn die Hormone im mütterlichen Blut Achterbahn fahren. Wir Hebammen sagen dann: «Wenn die Tränen fliessen, dann kommt die Milch!» Nicht weiter schlimm und ganz normal.
Tag 7 im Wochenbett
Ich klingle, Frau M. öffnet die Tür und sagt: «Ich kann das Alles nicht und habe mir nichts so vorgestellt wie es ist. Nichts klappt! Mein Mann schaut nur noch das Baby an und nicht mehr mich. Alles ist dunkel um mich herum und schwer! Ich habe keine Freude und bin unglücklich!» Dicke Tränen kullern auf den Boden. Bei mir blinken die Warnlichter. Auch da ich weiss, dass Frau M. bereits einmal an einer Depression litt.
Tag 9 im Wochenbett
Frau M. sagt: «Ich kann nicht mehr. Am liebsten würde ich das Kind aus dem Fenster werfen. Ich habe Angst dem Baby etwas anzutun. Ich hasse mich und mein Leben! Ich fühle mich schuldig und ich bin keine gute Mutter.» Mit dem Einverständnis der Frau entscheiden wir uns, sie notfallmässig in die Gynäkopsychiatrie in St.Gallen einzuweisen. ( https://www.psgn.ch/diagnosen/psychosomatik/schwangerschaftssprechstunde.html) Sie bleibt mitsamt ihrem Baby 4 Tage stationär und ich besuche sie am Tag 14 nach der Geburt wieder zu Hause.
Die Tür geht auf und Frau M. strahlt mich an. Frau M. ist eine komplett andere Wöchnerin. Fröhlich, offen. Das Leid konnte dank Psychopharmaka sehr schnell gestoppt werden. Ein hormonales Ungleichgewicht in ihrem Falle. Sie musste für insgesamt 6 Wochen Medikamente nehmen und konnte ihr Kind in dieser Zeit nicht stillen.
Hier ein Link falls Unsicherheit oder Fragen bezüglich Medikamenten in der Schwangerschaft oder Stillzeit bestehen. Die Medizinerin/der Mediziner Deiner Wahl, am besten eine auf Frauen und Wöchnerinnen ausgebildete Psychiaterin oder eine Gynäkologin wird Dir jedoch genau sagen, welche Medikamente stillverträglich sind und welche nicht. https://www.embryotox.de/erkrankungen/details/depressive-krankheitsbilder/
In den Industrienationen leiden 7 bis 15 Prozent aller Frauen, die ein Kind erwarten oder gerade zur Welt gebracht haben, an Depressionen; in ärmeren Regionen der Welt liegt der Anteil bei 19 bis 25 Prozent. Allen gemeinsam ist, dass sie statt Mutterglück innere Leere, Gleichgültigkeit und teilweise sogar Abneigung gegenüber ihrem Nachwuchs empfinden. Zudem machen sie sich bittere Vorwürfe, dass sie ihrem Kind keine gute Mutter sind.
Haben sie eine postnatale Depression?
Hier ein Test dazu:
https://www.postnatale-depression.ch/de/component/rsform/form/3-no-title.html?Itemid=528
Die postnatale Depression ist ein Thema, über das nicht geredet wird. Depressive Menschen neigen dazu sich zu verkriechen, sind antriebs- und teilnahmslos. Eine Schwere, die schon fast ansteckend wirkt, geht von ihnen aus. Wenn jetzt aber eine frischgebackene Mutter eine postnatale Depression entwickelt, ist das für viele schwer verständlich. Eine Depression zu haben ist keine Schande und die betroffene Person trifft keine Schuld. Üblicherweise haben alle Menschen Mitleid mit einer Person, die z.B. einen Beinbruch hat oder an einer Lungenentzündung erkrankt ist. Das sind sozusagen legitime Krankheitsbilder. Eine Mutter, die in ein postnatales Loch fällt, ist ein Tabu. Die hat gefälligst happy zu sein, denn sie hat ja ein Kind geboren. Oft werden Ratschläge erteilt: «So, nun reiss Dich mal zusammen! Du hast ein so schönes Baby! Es ist alles nicht so schlimm!» Das bringt allerdings herzlich wenig! Im Gegenteil. Die betroffene Frau versinkt nur noch mehr in ihren Schuldgefühlen, denn sie kann nicht anders fühlen.
Ich möchte Dich ermutigen genau hinzuschauen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, falls Du in Deinem Umfeld spürst, dass es jemandem nicht gut geht und diese Person möglicherweise unter einer Depression leidet. Sei dies nun eine Frau im Wochenbett oder ein Mann Mitte 50 der den Job verloren hat, denn Depressionen können behandelt werden. Das Beispiel von Frau M. hat mich schwer beeindruckt. Zeigt es doch wie hormonal gesteuert wir Menschen sind.
In diesem Sinne wünsche ich eine möglichst freudige Wochenbettzeit und den Mut, Hilfe in Anspruch zu nehmen falls es statt freudig, düster, dunkel und traurig in Dir aussehen sollte.
Hierzu ein hilfreicher Link: